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Pflegerin im Sozialzentrum
Arbeitswelt gestalten

"Pflege ist einfach notwendig"

Melanie Stemer ist seit 1. November 2023 Pflegedienstleiterin im Sozialzentrum Herrenried. Die diplomierte Krankenpflegerin gibt im Interview Einblick in die Pflegelandschaft, spricht über Personalmangel und die schönen Seiten des Berufes.

Wie sehen Sie die aktuelle Personalsituation in der Pflege?

Melanie Stemer: Die Personalsituation in der Gesundheits- und Pflegelandschaft ist in ganz Vorarlberg sehr angespannt, überall werden Pflegekräfte gesucht. Der Bedarf an Plätzen und die Anzahl der zu Pflegenden steigen jährlich um bis zu zehn Prozent, je nach Branche und Träger. Bei uns im SeneCura Sozialzentrum Herrenried könnten wir sofort zehn neue Mitarbeitende einstellen. Obwohl derzeit so viele Menschen wie noch nie in der Pflege arbeiten, sind wir nicht in der Lage, den Anstieg an Pflegebedürftigen zu bewältigen. Wir helfen uns dadurch, dass wir Betten geschlossen halten und unsere Strukturen anpassen.

So sind derzeit acht von 61 Betten nicht besetzt und bestimmte Tätigkeiten ausgelagert. Das ist einfach notwendig, um die Pflegequalität zu gewährleisten. Da wir nicht alles abdecken können, sind viele Menschen auf die eigene Familie, pflegende Angehörige, 24-Stunden-Pflege oder den mobilen Hilfsdienst angewiesen. Meiner Einschätzung nach könnten aufgrund des hohen Bedarfs an Pflegeangeboten rund zehn neue Pflegeheime in Vorarlberg eröffnet werden.  

Bis 2030 geht man in Österreich von 76.000 fehlenden Arbeitskräften in der Pflege aus. Warum tun sich Organisationen bzw. Einrichtungen so schwer damit, Pflegekräfte zu finden?

Stemer: Wie schon gesagt, die Anzahl der zu Pflegenden steigt kontinuierlich. Auf der anderen Seite haben wir geburtenschwache Jahrgänge, die dazu führen, dass grundsätzlich weniger Potenzial am Arbeitsmarkt vorhanden ist. Zudem nehme ich wahr, dass sich die Einstellung zur Arbeit bei den Jungen grundsätzlich ändert, viele möchten nur mehr Teilzeit arbeiten, um dadurch mehr Zeit für Freizeit und Familien zu haben. Wir sehen auch bei uns im Haus, dass sehr viele Mitarbeitende in Teilzeit beschäftigt sind. Das führt dazu, dass wir für die gleichen Anforderungen mehr Personal benötigen.

Es scheiden auch immer wieder Fachkräfte komplett aus der Branche aus, wie zuletzt durch die Umstände während der Corona-Zeit. Aber grundsätzlich ist das Interesse der Menschen an der Ausübung eines Pflegeberufes vorhanden, da sehe ich keinen großen Unterschied zu früher. Ich denke, dass das Image der Pflegeberufe nicht besonders gut ist. Wenn man in der Öffentlichkeit etwas über den Pflegebereich hört, dann ist es meist negativ, wie beispielsweise die ständigen Diskussionen über den Fachkräftemangel. Hier könnte durchaus öfter auf die positiven Aspekte des Pflegeberufes hingewiesen werden. Zudem arbeiten wir in einer Branche, in der die Technologie nur bedingt entlasten kann, bei uns steht der menschliche Kontakt im Vordergrund, das kann nicht einfach durch eine Maschine ersetzt werden.  

Melanie Stemer (links) mit einer Bewohnerin im Sozialzentrum Herrenried beim Backen.

Was muss passieren, um mehr Menschen für Pflegeberufe zu begeistern? Welche Rahmenbedingungen sollten verbessert werden?

Stemer: Das Image der Pflege muss einfach gehoben und der Beruf in der Öffentlichkeit realistisch dargestellt werden. Da kann jeder seinen Beitrag leisten, von den Mitarbeitenden bis hin zu den größeren Organisationen. Das Jammern hilft uns allen nicht. Es geht darum, die schönen und sinnstiftenden Seiten des Berufes zu zeigen und gleichzeitig die bestmöglichen Arbeitsbedingungen zu schaffen. Grundsätzlich ist der Beruf nicht schlecht bezahlt und es gibt genug Ausbildungsmöglichkeiten. Wenn an den Rahmenbedingungen etwas geändert werden sollte, dann sehe ich bei der monetären Entschädigung von Personen, die in Schlüsselpositionen arbeiten, noch Spielraum.

Oft scheitert eine Einstellung auch daran, dass keine ausreichende Kinderbetreuung vorhanden ist. Beispielsweise bei einem Arbeitsbeginn um sieben Uhr und einer Kinderbetreuung, die erst ab halb acht Uhr möglich ist, kann das zu Problemen führen. Unsere Berufsgruppe ist zudem eine sehr leise, wir haben auch keine Pflegekammer im Rücken, die für unsere Interessen einstehen könnte. Hinzu kommt, dass in Vorarlberg ein anderer Kollektivvertrag gilt als in allen anderen österreichischen Bundesländern. Eine einheitliche Regelung würde hier für Klarheit sorgen und die Arbeitsbedingungen verbessern.

Warum sollen sich Menschen für einen Pflegeberuf entscheiden?

Stemer: Die Pflege ist ein äußerst wertvoller und vielfältiger Beruf. In keinem anderen Bereich ist man so nahe am Menschen dran und erfährt so viel Dankbarkeit für das, was man tut. Mit einer Grundausbildung stehen einem viele berufliche Möglichkeiten offen, und je nach Interesse und Talent kann man sich persönlich weiterentwickeln. Die Einrichtungen unterstützen dabei durch Bezahlung von Aus- und Weiterbildungen, die Anrechnung der Qualifizierungszeit als Dienstzeit sowie durch Anpassung der internen Arbeitsstrukturen.

Die Pflege ist ein absolut sinnstiftender Beruf. Das wird in der täglichen Begegnung mit den zu pflegenden Menschen spürbar. Wir setzen uns auch mit den einzelnen Biografien der Menschen auseinander. So haben wir den sogenannten Jahreswunsch, wo wir unsere Informationen über die Pflegebedürftigen in eine ganz persönliche Aktivität einfließen lassen. Beispielsweise haben wir einer Bewohnerin den Wunsch erfüllt, einen Tag am Bodensee zu verbringen. Wir sind gemeinsam essen gegangen, an der Promenade entlang spaziert und haben schließlich noch eine Aufführung der Bregenzer Festspiele angesehen. Solche gemeinsamen Erfahrungen sind etwas ganz Wertvolles und zeigen, wie schön der Pflegeberuf ist. Zudem ist er ein krisensicherer Job mit Karrierechancen und einem guten Arbeitsklima.

Was unternimmt das Sozialzentrum Herrenried, um mehr Personal zu akquirieren?

Stemer: Wir schauen zuerst, ob Potenzial im eigenen Haus vorhanden ist, gibt es Mitarbeitende, die sich für eine Ausbildung begeistern können. Da ist es auch möglich, dass sich eine Reinigungskraft zur Heimhilfe ausbilden lässt. Zudem unterstützen wir Schülerinnen und Schüler während ihrer Ausbildung über die Connexia Implacementstiftung, um sie so für unser Haus gewinnen zu können. Natürlich suchen wir Personal auch über gängige Wege, wie beispielweise Ausschreibungen in fachspezifischen Medien und auf unserer Homepage, und wir nutzen Social Media-Kanäle, seit einem Monat sind wir auf Facebook und Instagram präsent.

Wir bieten auch eine Vermittlungsprämie an, die Beschäftigte erhalten, die neue Mitarbeitende anwerben. Bleibt die neue Mitarbeiterin, der neue Mitarbeiter länger als ein Jahr bei uns, dann kann die Prämie bis zu 2.000 Euro betragen. Wir werben auch Arbeitskräfte aus Drittstatten an. Derzeit arbeiten zwei Personen aus Kolumbien bei uns. Ansonsten wollen wir als attraktiver Arbeitgeber punkten und setzen dabei auf technische Innovationen. So haben wir Virtual Reality-Brillen im Einsatz, die Mitarbeitende einsetzen, um sich beispielsweise in die Situation einer dementen Person hineinversetzen zu können. Diese Brillen werden auch in der Betreuung verwendet und ermöglichen Pflegebedürftigen, die Probleme mit der Mobilität haben, virtuelle Ausflüge.    

Welchen Stellenwert hat der Beruf in der Gesellschaft. Welchen wird er in der Zukunft haben, wenn wir die demografische Entwicklung ansehen? Und welchen hat er für Sie persönlich?

Stemer: Welchen Stellenwert die Gesellschaft dem Pflegeberuf zuschreiben wird, ist in der bewegten Zeit, in der wir leben, nicht leicht zu beantworten. Aufgrund des Pflegebedarfs und der demografischen Entwicklung müsste er natürlich hoch sein. Hinter dem Beruf steckt oft mehr als medial oder gesellschaftlich transportiert wird. Die Pflege ist einfach notwendig, da die sich veränderten Familienstrukturen einen enormen Versorgungsbedarf hervorbringen. Früher spürte man noch eher die moralische Verpflichtung, Familienmitglieder zu pflegen, man hatte auch viel mehr Kinder, die diese Aufgabe erfüllen konnten. Für mich persönlich ist der Pflegeberuf jedenfalls der schönste und vielseitigste, den es gibt. Die Chancen, Perspektiven und Verantwortung, die dieser Beruf mit sich bringt, lassen sich nicht beschreiben, sondern nur erfahren.

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Vom 22. April bis 24. Mai 2024 sind die AMS-Mitarbeitenden wieder unterwegs zu den Unternehmen und informieren zum Thema nachhaltige Personalarbeit.
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